Italien legt die Lunte an den Euro

Italien legt die Lunte an den Euro

13.06.2019 – Special Report. Die Spekulationen über eine italienische Parallelwährung verstummen einfach nicht. Ist der Mini-BOT der Vorbereiter eines Default und des Italexit? Nur so könnte sich Rom schnell und komplett entschulden. Italien schuldet der Europäischen Zentralbank über den Umweg der Target2-Salden rund eine halbe Billion Euro, also 500 Milliarden Euro. Die Versuchung ist groß, die Euro-Bombe platzen zu lassen. Das wäre enorm gefährlich für Deutschland, die gesamte Eurozone und damit den Euro. Wir analysieren die Hintergründe.

Erwarten Sie das Undenkbare

Italien ist gleich in zweifacher Hinsicht auf Kollisionskurs mit der Europäischen Union gegangen. Zwar hat das Land im Defizitstreit mit der EU nun doch eingelenkt, um ein Milliarden Euro schweres Strafverfahren zu vermeiden. Die italienische Regierung beharrt darauf, dass es das Defizit-Ziel von 2,04 Prozent einhalten könne, die EU-Kommission erwartet eher 2,5 Prozent. Aber wie will Rom seine Schulden loswerden? Mitten in der Rezession wäre eine Sparpolitik für jede Regierung Selbstmord. Die Arbeitslosenquote liegt bei 10,7 Prozent, die Verschuldung Italiens bei mehr als 130 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Wie immer sollten versierte CFD-Trader auch das Undenkbare durchdenken.

Immer wieder lockt die Parallelwährung

Vielleicht gelingt die Eliminierung der Verschuldung in Euro nur über ein Ausweichen auf eine andere Währung. Interessant ist daher der zweite Zug, der auf die Eurozone zurast – eine einstimmige Entscheidung der römischen Abgeordnetenkammer von Anfang Juni. Die Parlamentarier stimmten einem Antrag zu, der zwar noch kein Gesetzesentwurf und kein Regierungsdekret war. Aber mit Sicherheit ein interessanter Versuchsballon. Konkret: Die Regierung will kurzfristige Staatsanleihen in Stückelungen von 5 bis 500 Euro ausstellen. Solch kleine Nennwerte erinnern fatal an echtes Geld.

Mini-BOT statt Euro?

Die Anleihen sollen Mini-BOTs heißen – BOT ist die Abkürzung von „buoni ordinari del Tesoro“, also Schatzanweisungen. Die Laufzeiten sollen zwischen drei und zwölf Monaten betragen, um Rechnungen innerhalb Italiens zu begleichen. Außerdem sollen die Italiener beim Fiskus ihre Steuerschulden mit Mini-BOTs begleichen. Und wieder haben wir wichtige Funktionen einer Währung.
Zwar betonten italienischen Regierungsvertreter zuletzt, es gehe nicht um eine Parallelwährung oder um den Ausstieg aus dem Euro. Doch vielleicht ist das nur beschwichtigende Propaganda, um die Finanzwelt einzulullen. Zwar ist der Mini-BOT de iure keine offizielle Währung – da Rom niemanden zwingt, die Schuldscheine anzunehmen. Doch de facto würde ein zweiter Währungsmarkt neben dem Euro entstehen, wenn die kritische Masse an Italienern, die Mini-BOTs verwenden, groß genug würde. Übrigens sind Zweitwährungen laut EU-Recht illegal. Nebenbei erhöhen Mini-BOTs auch die Verschuldung Italiens weiter. Warum also trotzdem diesen Schritt wagen? Vielleicht weil der Italexit doch kommen soll und die Investoren glauben es einfach noch nicht.

Schockwellen rasen durch Europa

Was also könnte passieren? Da der Vorgang bislang fast beispiellos ist, bleibt nur der Versuch, die Historie zu analysieren. Zum einen könnte Italien einfach einen Default für sämtliche in Euro denominierten internationalen Schulden erklären. Das Beispiel dafür: Russland hat Ende der 90er-Jahre den Zahlungsausfall für seine Bonds erklärt. Im Fall Italien dürften die Schockwellen vor allem Deutschland treffen, den größten Bürgen der Europäischen Zentralbank. Deutsche Staatsanleihen dürften in die Knie gehen.

Italienische Staatsanleihen in Euro wären wegen des Default ebenfalls ein Fressfest für die Bären. Zu erwarten wäre ferner eine Kollaps-Welle unter kriselnden europäischen Banken – denn gerade die müssen wegen höherer Renditen in Bonds von Risikostaaten investieren. Zudem dürfte ein Mega-Crash am Aktienmarkt und eine Baisse im Euro über die Anleger fegen.

Beispiel Hyperinflation in der Weimarer Republik

Weiter würde Italien wohl umgehend den Mini-BOT zur neuen, einzigen Währung erklären, wenn auch mit neuem Namen – was das Land sofort für Investoren interessant machen würde, da es komplett nach außen entschuldet wäre. Ein ähnliches historisches Beispiel gibt es: Die von gigantischen Schulden erdrückte Weimarer Republik vernichtete nach dem Ersten Weltkrieg die Kredite seiner Gläubiger. Deutschland entschuldete sich über die Hyperinflation skrupellos, indem es im Zuge des Ruhrkampfs 1923 seine Schulden in frisch gedruckter und letztlich wertloser Mark tilgte. Neutrale Staaten und vor allem die heimische Mittelschicht, die Kriegsanleihen gezeichnet hatten, standen auf einmal mit leeren Händen da. Als die neue Währung Rentenmark eingeführt wurde, war der Staat von jetzt auf nachher fast schuldenfrei und wieder ein attraktiver Investment-Standort. Denn das Default-Risiko für ausländische Investoren war nahe Null gesunken.
Umgehend flossen riesige Dollar-Ströme aus den USA nach Deutschland. Denn Amerika schwamm im Geld und suchte nach Anlage-Möglichkeiten. Es hatte seinen Alliierten, die auf Kriegsproduktion umgestellt hatten – allen voran Frankreich und England – im Ersten Weltkrieg einen Großteil der Konsumgüter geliefert. Dies hatte in den „Roaring Twenties“ zu einer gigantischen Hausse an der Wall Street geführt. Mit dem Dollar-Zustrom erlebte die Weimarer Republik in den Goldenen Zwanzigern eine kurze Blüte. Die Parallele in der jüngeren Vergangenheit: Nach der Russlandkrise – und unterstützt durch den steigenden Ölpreis – flossen etwa ab dem Jahr 2000 Milliarden an westlichen Geldern nach Russland. Das Land boomte, der Rubel erholte sich kräftig.

Hausse in Italien und bei Gold

Vom Euro-Exit würde somit wohl der italienische Aktienmarkt enorm profitieren, falls neues Kapital ins Land fließt. Und natürlich wäre dann die neue Währung für Trader einen genauen Blick wert, inklusive Staatsanleihen. Da zudem eine Flucht aus dem Euro einsetzen würde – das Beispiel Italien könnte ja Schule machen – würden wohl viele Anleger ihr Geld im sicheren Hafen Gold investieren. Nebenbei würde ein drastischer Wertverlust des Euro nur all diejenigen weitgehend kaltlassen, die Sachwerte besitzen. Denn Häuslebauer könnten ja ihre Hypotheken einfacher vorzeitig tilgen; wobei die Rechnung wohl kurz danach präsentiert würde: In der Weimarer Republik wurden Immobilienbesitzer ab 1924 mit einer Hauszinssteuer zur Kasse gebeten.
Unser Fazit: Bislang kaum beachtet in der Öffentlichkeit wächst mit Italien ein Krisenherd für den Euro heran, der die Griechenland-Krise wie ein Kinderspiel aussehen lassen könnte. CFD-Trader sollten die Angelegenheit unbedingt auf ihren Radar-Schirm nehmen. Falls aber Rom mit dem Mini-BOT seinen Geldgebern nur die Folterwerkzeuge gezeigt hat, um über die EZB neue Kredite zu erhalten, wird das Durchwursteln weitergehen. Neue Schulden, wenig Tilgung, Dauerkrise. Bis die Lage wie einst in Griechenland eskaliert. Warten wir es ab.

Wichtige Hinweise:

Der Inhalt dieser Publikation dient ausschließlich allgemeinen Informationszwecken. Es handelt sich in diesem Kontext weder um eine individuelle Anlageempfehlung oder -beratung, noch um ein Angebot zum Erwerb oder der Veräußerung von Wertpapieren oder anderen Finanzprodukten. Der betreffende Inhalt sowie sämtliche enthaltenen Informationen ersetzen in keiner Weise eine individuelle anleger- bzw. anlagegerechte Beratung. Jegliche Darstellungen oder Angaben zu gegenwertigen oder vergangenen Wertentwicklungen der betreffenden Basiswerte erlauben keine verlässliche Prognose oder Indikation für die Zukunft. Sämtliche aufgeführte Informationen und Daten dieser Publikation basieren auf zuverlässigen Quellen. Die Bernstein Bank übernimmt jedoch keine Gewähr bezüglich der Aktualität, Korrektheit und Vollständigkeit der in dieser Veröffentlichung aufgeführten Informationen und Daten. An den Finanzmärkten gehandelte Wertpapiere unterliegen Kursschwankungen. Ein Contract for Difference (CFD) stellt darüber hinaus ein Finanzinstrument mit Hebelwirkung dar. Der CFD-Handel beinhaltet vor diesem Hintergrund ein hohes Risiko bis zum Totalverlust und ist damit unter Umständen nicht für jeden Anleger geeignet. Stellen Sie deshalb sicher, dass Sie alle korrelierenden Risiken vollständig verstanden haben. Lassen Sie sich gegebenenfalls von unabhängiger Seite beraten.

CFD sind komplexe Instrumente und gehen wegen der Hebelwirkung mit dem hohen Risiko einher, schnell Geld zu verlieren. 68% der Kleinanlegerkonten verlieren Geld beim CFD-Handel mit diesem Anbieter. Sie sollten überlegen, ob Sie verstehen, wie CFD funktionieren, und ob Sie es sich leisten können, das hohe Risiko einzugehen, Ihr Geld zu verlieren.